Erklärung der Haftbarhaltung bedarf der Schriftform

BGH, Urteil vom 20. September 2012 – I ZR 75/11

Die Erklärung der Haftbarhaltung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform gemäß § 126 Abs. 1 BGB.(Rn.11)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

Die Revision gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen vom 8. April 2011 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand
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Die Klägerin ist Assekuradeurin der Verkehrshaftungsversicherer der G. GmbH in Bremerhaven (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt den Beklagten aus übergegangenem und abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin wegen angeblich fehlerhafter Ausführung eines Beförderungsauftrags auf Schadensersatz in Anspruch.

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Die N. e.G. in Bremen (im Weiteren: Versenderin) beauftragte die L. Internationale Spedition GmbH (im Weiteren: L. ) im Oktober 2002 zu festen Kosten mit dem Transport und der zollmäßigen Abfertigung eines mit Käse beladenen Kühlcontainers von Dargun/Mecklenburg-Vorpommern über Bremerhaven nach Mexico. Die L. führte den ihr erteilten Auftrag nicht selbst aus, sondern gab ihn an die Ly. Lines Ltd. (im Weiteren: Ly. ) weiter, die ihrerseits die Versicherungsnehmerin mit dem Transport von Dargun nach Bremerhaven und der Zollabfertigung beauftragte. Die Versicherungsnehmerin gab den ihr erteilten Auftrag inhaltsgleich an den Beklagten weiter. Der von der Versenderin an den Fahrer des Beklagten übergebene Frachtbrief enthielt folgende Eintragung:

Achtung!!! T-5 Ware!!! TC 11 Eingangsbescheinigung vor Einfahrt in den Freihafen beim Zollamt Bremen quittieren lassen!!!

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Ein Fahrer des Beklagten lieferte den Kühlcontainer am 29. Oktober 2002 im Freihafen von Bremerhaven an. Nach der bestrittenen Darstellung der Klägerin wurde dem Zoll keine Ausfuhranmeldung für das in dem Kühlcontainer enthaltene Gut vorgelegt. Das Hauptzollamt Hamburg-Jonas forderte deshalb von der Versenderin die an diese vorschussweise gezahlte Ausfuhrerstattung in Höhe von 29.009,26 € zurück. In derselben Höhe nebst Zinsen nahm die Versenderin anschließend die L. vor dem Landgericht Hamburg erfolgreich auf Schadensersatz in Anspruch. Die Klägerin zahlte daraufhin an die L. 31.319,24 € (titulierte Hauptforderung zuzüglich Zinsen). Darüber hinaus zahlte sie an die Versenderin zum Ausgleich der dieser im Vorprozess entstandenen Kosten einen Betrag in Höhe von 2.817,98 €.

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Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte müsse für die Folgen der unterlassenen Gestellung des Containers beim Zoll nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation einstehen. Ihm sei qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen. Die Versicherungsnehmerin habe ihre Ersatzansprüche mit Telefaxschreiben vom 7. November 2002 gegenüber dem Beklagten geltend gemacht. Dadurch sei der Lauf der Verjährungsfrist für die gegen den Beklagten bestehenden Ersatzansprüche gehemmt worden. Die Klägerin hat den Beklagten daher auf Zahlung von 34.136,52 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.

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Der Beklagte hat sich unter anderem auf die Einrede der Verjährung berufen. Er hat den Zugang des Telefaxschreibens vom 7. November 2002 bestritten und darüber hinaus geltend gemacht, das Schreiben habe nicht der von § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB geforderten Schriftform entsprochen, weil die Absenderin es – unstreitig – nicht unterzeichnet habe.

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Das Berufungsgericht hat die in erster Instanz erfolgreiche Klage (LG Bremen, TranspR 2010, 233) abgewiesen. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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I. Das Berufungsgericht hat die vom Beklagten erhobene Verjährungseinrede durchgreifen lassen und die Klage deshalb abgewiesen. Dazu hat es ausgeführt:

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Die Ablieferung des Kühlcontainers in Bremerhaven sei unstreitig am 29. Oktober 2002 erfolgt. Die Verjährungsfrist von einem Jahr gemäß § 439 Abs. 1 Satz 1 HGB sei daher am 29. Oktober 2003 abgelaufen. Die Klägerin habe ihre Klage erst am 23. Juni 2008, mithin nach Ablauf der Verjährungsfrist, eingereicht. Das Telefaxschreiben der Versicherungsnehmerin vom 7. November 2002 habe keine Hemmung des Laufs der Verjährungsfrist bewirken können, weil es mangels Unterzeichnung durch die Versicherungsnehmerin nicht die von § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB geforderte Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB eingehalten habe.

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II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzforderung gemäß § 439 Abs. 1 HGB verjährt ist, weil der Lauf der Verjährungsfrist nicht durch das Telefaxschreiben der Versicherungsnehmerin vom 7. November 2002 nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB gehemmt worden ist.

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1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die für eine Schadensanzeige nach Ablieferung des Gutes und die Haftbarhaltung des Frachtführers maßgeblichen Vorschriften enthielten hinsichtlich der einzuhaltenden Form seit dem Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 unterschiedliche Anforderungen. Während § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB für die Haftbarhaltung ohne weitere Erläuterungen zur Form eine „schriftliche Erklärung“ verlange, habe § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB für die Schadensanzeige von vornherein vorgesehen, dass die im Grundsatz „schriftlich“ zu erstattende Anzeige auch mit Hilfe einer telekommunikativen Einrichtung übermittelt werden könne. Zudem habe § 438 Abs. 4 Satz 2 HGB in der ursprünglichen Fassung ausdrücklich bestimmt, dass die Schadensanzeige nicht unterschrieben sein müsse, wenn aus ihr der Aussteller in anderer Weise erkennbar sei. Aus dem Umstand, dass nur die Schadensanzeige keiner Unterschrift bedürfe, ergebe sich, dass eine Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB die Schriftform im Sinne des § 126 Abs. 1 BGB erfordere und daher vom Absender unterschrieben sein müsse. Dieser Form genüge das unstreitig nicht mit einer Unterschrift der Versicherungsnehmerin versehene Telefaxschreiben der Versicherungsnehmerin vom 7. November 2002 nicht.

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2. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB im Gegensatz zur Schadensanzeige nach § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB die Unterschrift desjenigen tragen muss, der Ersatzansprüche geltend macht.

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a) Die Revision rügt ohne Erfolg, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts genüge auch eine Erklärung in Textform (§ 126b BGB) dem Schriftlichkeitserfordernis des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB. Sie macht insoweit geltend, nach der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Fracht-, Speditions- und Lagerrechts (Transportrechtsreformgesetz) entspreche die Regelung in § 439 Abs. 3 HGB sachlich dem „geltenden Recht in Art. 32 Abs. 2 CMR, § 40 Abs. 3 KVO, § 94 Abs. 3 EVO, Art. 58 § 3 Satz 1 CIM“ (BT-Drucks. 13/8445, S. 79). Für Art. 32 Abs. 2 CMR sei allgemein anerkannt, dass der Begriff „schriftliche Reklamation“ nicht Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB bedeute. Es genüge vielmehr jede lesbare Erklärung. Es spreche nichts für die Annahme, dass der (nationale) Gesetzgeber das Schriftlichkeitserfordernis gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB in einem anderen Sinne habe verstehen wollen.

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Dem vermag der Senat nicht beizutreten. Richtig ist allerdings, dass sich der Wortlaut des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB weitgehend an Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR orientiert. Ebenso trifft es zu, dass für eine schriftliche Reklamation gemäß Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR nach ganz überwiegender Auffassung nicht die Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB erforderlich ist, sondern jede Form der Lesbarkeit und damit auch ein Telefaxschreiben, eine E-Mail oder ein Telegramm genügt (vgl. OLG Koblenz, TranspR 1991, 93; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 32 CMR Rn. 11; Helm, Frachtrecht II, CMR, 2. Aufl., Art. 32 Rn. 110; MünchKomm.HGB/Jesser-Huß, 2. Aufl., Art. 32 CMR Rn. 35; Bahnsen in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., Art. 32 CMR Rn. 27; Herber/Piper, CMR, Art. 32 Rn. 32). Dieser Umstand rechtfertigt es jedoch nicht, für eine Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB jede Art von Textform ausreichen zu lassen. Die CMR unterscheidet nicht zwischen Textform und Schriftlichkeit. Sie verweist auch nicht auf das jeweils anwendbare nationale Recht. Die Vorschriften des Übereinkommens sind vielmehr autonom auszulegen, weil nur auf diese Weise der Zweck der Rechtsvereinheitlichung erreicht werden kann (Koller aaO Art. 32 CMR Rn. 11; Helm aaO Art. 32 Rn. 110). Aus dem Verständnis des Begriffs „schriftliche Reklamation“ in Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR lässt sich daher nicht ohne weiteres etwas für die Auslegung des nationalen Rechts, hier des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB, ableiten.

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b) Zudem spricht die Gesetzesentwicklung nach Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes am 1. Juli 1998 – anders als die Revision meint – gegen die Annahme, dass für eine Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ebenso wie bei Art. 32 Abs. 2 Satz 1 CMR jede lesbare Mitteilung ausreicht. Die mit dem Transportrechtsreformgesetz in das Handelsgesetzbuch eingefügte Vorschrift des § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB sah für die Schadensanzeige ursprünglich vor, dass diese grundsätzlich schriftlich zu erfolgen hatte. Die Übermittlung der Anzeige konnte mit Hilfe kommunikativer Einrichtungen erfolgen. Eine Unterschrift sollte entbehrlich sein, wenn der Aussteller in anderer Weise aus der Anzeige erkennbar war. Durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr vom 13. Juli 2001 (BGBl. I 2001 S. 1542) ist § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB dahingehend geändert worden, dass eine Schadensanzeige nach Ablieferung des Gutes in Textform (§ 126b BGB) zu erstatten ist, die keine eigenhändige Namensunterschrift des Erklärenden erfordert. Demgegenüber hat die Bestimmung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB durch das Gesetz vom 13. Juli 2001 keine Änderung erfahren. Sie verlangt für die Erklärung der Haftbarhaltung nach wie vor ausdrücklich und ohne Ausnahme Schriftlichkeit. Mit Recht hat das Berufungsgericht daraus den Schluss gezogen, dass für die Erklärung gemäß § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB die Schriftform im Sinne von § 126 Abs. 1 BGB erforderlich ist (ebenso OLG München, TranspR 2008, 321, 323; OLG Frankfurt, TranspR 2010, 36, 37; MünchKomm.HGB/Herber/Eckardt, § 439 Rn. 22; Schaffert in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 439 Rn. 21; Andresen/Valder, Speditions-, Fracht- und Lagerrecht, § 439 HGB Rn. 29; aA Koller aaO § 439 HGB Rn. 33, der darauf hinweist, dass der Frachtführer keiner gesteigerten Sicherheit bei der Identifikation des Anspruchstellers bedürfe, weil er lediglich darüber informiert werden solle, dass gegen ihn Ansprüche geltend gemacht werden; ebenso Steinborn, TranspR 2011, 16, 18).

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Entgegen der vom Landgericht vertretenen Ansicht (ebenso Koller aaO § 439 HGB Rn. 33; wohl auch Steinborn, TranspR 2011, 16, 18) kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Anpassung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB an die Formvorschrift des § 126b BGB versehentlich – also planwidrig – unterblieben ist mit der Folge, dass eine analoge Anwendung des § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB in Verbindung mit § 126b BGB in Betracht gezogen werden könnte. Durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr wurde nicht nur § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB geändert. Es wurden vielmehr weitere Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs (§ 410 Abs. 1, § 455 Abs. 1 Satz 2, § 468 Abs. 1 Satz 1) und zahlreiche andere Vorschriften des Privatrechts (beispielsweise § 554 Abs. 3 Satz 1 und § 556b Abs. 2 Satz 1 BGB) an den neu geschaffenen Formtyp des § 126b BGB angepasst. Der Umstand, dass § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB unverändert geblieben ist, steht danach der vom Landgericht vertretenen Ansicht entgegen, es könnte sich bei der unterlassenen Änderung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB um ein Regelungsversehen des Gesetzgebers handeln. Mit der in der Rechtsprechung und im Schrifttum vorherrschenden Auffassung ist vielmehr davon auszugehen, dass der Gesetzgeber bewusst von einer Anpassung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB an den Formtyp des § 126b BGB abgesehen hat. Hierfür spricht auch die Begründung des Gesetzentwurfs zu § 126b BGB, im Zuge weiterer Gesetzesüberarbeitungen werde zu prüfen sein, inwieweit sich Formbestimmungen für die Einführung der Textform eigneten (Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsgeschäftsverkehr, BT-Drucks. 14/4987, S. 18). Dieser Hinweis in der Begründung des Gesetzentwurfs steht der Annahme entgegen, dass bei § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB statt der normierten Schriftform die Textform im Sinne von § 126b BGB ausreichen soll.

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c) Vor diesem Hintergrund kann auch die weitere Rüge der Revision, es gebe keinen sachlich gerechtfertigten Grund, die Haftbarhaltung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB anders als die Schadensanzeige gemäß § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB der Schriftform zu unterstellen, keinen Erfolg haben. Hätte der Gesetzgeber es für sinnvoll erachtet, für eine Erklärung nach § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB dieselbe Form wie für eine Schadensanzeige gemäß § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB ausreichen zu lassen, hätte es nahegelegen, mit dem Gesetz vom 13. Juli 2001 auch eine Anpassung des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB an die neu in § 126b BGB geregelte Textform vorzunehmen. Die gesetzgeberische Entscheidung gegen eine Korrektur des § 439 Abs. 3 Satz 1 HGB ist von den Gerichten hinzunehmen. Sie steht einer Ausdehnung der Form des § 126b Abs. 1 BGB über die im Frachtrecht ausdrücklich normierten Fälle (§ 410 Abs. 1, § 438 Abs. 4 Satz 1 HGB) hinaus entgegen.

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III. Danach ist die Revision der Klägerin gegen das Berufungsurteil mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

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